Ich stehe immer noch unter Schock. Werde ich jemals wieder ein normales Leben führen können? Wie soll ich das nur verarbeiten? Und vor allem: werde ich das Ende der Tour erleben, oder vorher einen schrecklichen Unfall erleiden? Nach gestern Abend war alles möglich!

Ich war hin- und hergerissen zwischen meiner Angst (nun weiß ich, was Todesangst ist) und der Pflicht, die Wahrheit ans Licht zu bringen. Es hatte schon genug Opfer gegeben. Irgendwann musste doch mal Schluss sein damit.

Also entschloss ich mich, im Notfall mein eigenes, unwürdiges Leben zu opfern, um dieses Ziel zu erreichen. Und so saß ich wieder mal in meinem Auto, um weitere Beweise zu liefern (sofern das überhaupt noch nötig war).

In Magdeburg angekommen war es gar nicht so leicht, den Club zu finden. Durch finsterste Gegenden musste ich fahren. Ja, hier fühlten die sich bestimmt so richtig wohl. Ich bekam eine Gänsehaut und machte mir mit einer Rolf-Zuckowski-Kassette Mut. Das klappt eigentlich immer.

Als ich endlich die Factory gefunden hatte, hatte der Einlass längst begonnen. Somit war es ziemlich schwer, weit nach vorne zu kommen. Als ich das aber doch, allerdings dafür vollkommen durchgeschwitzt, geschafft hatte und seitlich am Graben stand, lächelte mir von dort aus Tourmanagerin Dotty zu und bot mir ein Getränk an. Was zum Henker war das jetzt wieder für eine Teufelei? War hier so viel Böses im Raum, dass sich die Pole umkehrten. Wurde aus minus mal minus plus? Nein, unmöglich, so viel Bosheit konnte es nicht geben, um es mit ihr aufzunehmen. Es war ganz klar: sie wollte mich vergiften. Oder zumindest willenlos machen. Aber warum? Gestern lächelte D. mich an, heute tut es Dotty ihm nach – was soll der Scheiß? Ich lehnte dankend ab, sie zuckte kurz die Schultern und verschwand im Backstagebereich.


Während des anschließenden Konzertes gelangen mir ein paar spektakuläre Aufnahmen. Weniger von der Band, die ich natürlich weiterhin beobachtete, als von den Fans und dem bösen Spiel, dass da mit ihnen getrieben wurde.

Die Bühne schien so etwas wie ein Störfeld zu umgeben, das jedes Foto automatisch zerstörte oder zumindest unscharf oder sonstwie unbrauchbar machte.


Wie an den Abenden zuvor verteilte man im Graben ständig Becher an die Fans und ließ sie eine wasserähnliche Flüssigkeit aus Eimern schöpfen. Aber das war kein Wasser!!!

Direkt neben mir stand eine junge Dame, die die ganze Zeit über gelächelt hatte und offenbar das Konzert genoss. Kaum aber hatte sie getrunken, veränderte sich ihr Gesichtsausdruck und sie starrte selig ins Leere, während sie satanistische Handbewegungen in Richtung Bühne machte.


Gleich hinter ihr stand eine ganze Horde junger Frauen, die ich bereits draußen bemerkt hatte, obwohl sie da noch eher unscheinbar und sehr friedlich gewirkt hatten. Unter Einwirkung von Getränken und dem bewusstseinsveränderndem Rauch von der Bühne wurden aus ihnen wahre Furien. Sie sangen sinnentleerte Botschaften, forderten immer wieder »Elektrobier« (ein Wort, das nicht im Duden zu finden ist) und schwebten alle Nase lang wie im Exorzisten zwei Meter über dem Boden in Richtung Bühne, wo sie von den Securities in Empfang genommen, aber seltsamerweise nicht nach hinten getragen wurden.

Gegen Ende des Konzertes waren die ersten Reihen völlig am Ende und konnten keinen Widerstand mehr aufbringen, als ich mich ganz nach vorne quetschte. Ich starrte in leblose Augen von Fans, die blasphemische T-Shirts trugen, auf denen Kreuzigungsszenen abgebildet waren oder beobachtete Mädchen, die mit einem Schlagzeugstick bestochen worden waren und augenscheinlich nicht mehr Herr über ihr eigenes Denken und Handeln waren.

Von dort vorne gelang mir das bisher spektakulärste Bandfoto dieser Tour. Offenbar waren sie aus dem Störfeld heraus getreten, oder man hatte es bereits abgeschaltet, weil die Fans inzwischen ohnehin nicht mehr in der Lage waren, zu fotografieren und nur noch wirres Zeug brasselten. Leider war die Bühne sehr hoch und sie thronten förmlich über mir, aber dafür war ich so dicht an ihnen dran wie nie zuvor. Aus dieser Position fühlte ich mich zwar vollkommen klein und unwert (und das war vermutlich auch die Intention dahinter), aber ich konnte deutlich die rituelle Malerei auf den Armen des Schlagzeugers erkennen. Neben Abbildungen von Dämonen tummelten sich darauf jede Menge mystische Zeichen.
Ich hatte genug gesehen. Das Konzert war ohnehin vorüber und ich wollte mich auf keine weitere Begegnung mit D. oder Dotty einlassen. Irgend etwas führten die im Schilde. Aber was? Und wieso ausgerechnet mit mir? Die ganze Heimfahrt dachte ich darüber nach, fand aber keine Lösung. Aber die Tour war ja noch nicht vorüber!