2. Tag der Kegeln for Kreuzberg Tour! Nach einem eher erfolglosen Versuch, in Coesfeld an die Band heran zu kommen, probierte ich in Krefeld erneut mein Glück. Den Tag verbrachte ich damit, in Erfahrung zu bringen, in welchem Hotel die drei wohnen, aber da bin ich leider kläglich gescheitert. Man wollte mir einfach keine Auskunft geben. Jedes Mal, wenn ich bei den Hotel-Rezeptionen anrief, hörte ich die gleiche Auskunft: »Nein, hat niemand mit dem Namen »Nackt unter Kannibalen« eingecheckt!« Eine junge Dame wurde sogar richtig böse und beschimpfte mich als perverse Sau. Unverschämtheit!

Alles, was ich sicher wusste, war die Tatsache, dass der Bandbus irgendwie von Coesfeld nach Krefeld kommen musste. Also parkte ich geschickt auf einem Parkplatz an der entsprechenden Autobahn und beobachtete den Verkehr. Tatsächlich fuhr im Laufe des frühen Nachmittags der Bus an mir vorbei. Das war DIE Gelegenheit! Ich klemmte mich an seine Stoßstange und folgte ihm unauffällig. Dachte ich zumindest. Der Busfahrer war aber offensichtlich nicht von gestern und bemerkte ziemlich bald, dass er verfolgt wurde. Sofort versuchte er, mich durch waghalsige Lenkmanöver abzuschütteln, wechselte abrupt die Spuren, bremste und beschleunigte und brachte mich mehr als einmal in gefährliche Situationen. Ich ließ mich aber nicht beirren, sondern versuchte stattdessen, ein Foto vom Bus zumachen. Einerseits für diesen Bericht, andererseits, um später beweisen zu können, dass er mich genötigt hat.


Da ich aber wegen meines hohen Tempos nicht kontrollieren konnte, was ich da fotografierte, bemerkte ich erst später mein Missgeschick. Hier, wo mein Daumen zu sehen ist, fährt gerade der Bus auf der linken Spur an mir vorbei.


Aber noch war der Bus ja nicht verschwunden und ich folgte ihm weiter unauffällig. Zu meiner Schande muss ich aber gestehen, dass ich während meiner Warterei viel zu viel Kaffee getrunken hatte, und dieses Überangebot an Flüssigkeit, gepaart mit seiner wasserentziehenden Wirkung, forderte plötzlich, aber vehement, seinen Tribut. Also musste ich wohl oder übel den nächsten Parkplatz ansteuern und mir etwas Erleichterung verschaffen. Das sollte eigentlich weiter kein Problem sein, immerhin konnte ich mit dem PKW ja deutlich schneller fahren als der Bus und ich nahm an, ihn mühelos wieder einzuholen. Als ich aber die Autobahn entlang jagte, war weit und breit nichts mehr von dem Bus zu sehen. Verdammt, ich war so dicht dran gewesen.

So blieb mir nichts weiter übrig, als mich in der Nähe der Halle in Position zu bringen und abzuwarten. Irgendwie musste ich dort hinein kommen und irgendwie musste ich es schaffen, meine Kamera hinein zu schmuggeln.
Im Kofferraum habe ich für solche Zwecke eine ganze Reihe von Kleidungsstücken, um mich dezent zu tarnen. Man nennt mich nicht umsonst den Captain der tausend Gesichter. Ich wählte einen Anzug Marke Zeuge Jehovas und verwandelte mich in Sekunden in Herrn Schrader vom Ordnungsamt. Mit gefälschtem Ausweis (wiederum aus dem Yps) und der Vorgabe, die Notausgänge kontrollieren zu wollen, konnte ich mühelos die Kulturfabrik betreten. Das war also schon mal geschafft.

Von der Band war noch nirgendwo etwas zu sehen. Ich sah mich geschäftig um und inspizierte Fluchtwege und Beleuchtung. Viel zu spät bemerkte ich, dass der Bus inzwischen angekommen war und die Musiker sich in ihre Garderobe zurückgezogen hatten. Und es war überhaupt nicht daran zu denken, dort hinein zu kommen. Zwar war vom Security D. nichts zu sehen, aber sie hatten noch ein weiteres Ass im Ärmel in Form einer weiblichen Gouvernante namens Dotty, die den Eingang bewachte wie ein Zackenbarsch sein Gelege. Hätte ich mich vielleicht mit D. noch auf eine Diskussion eingelassen, so signalisierte mir ihr Gesicht nur eines: »Sprich mich nur an, wenn du genügend Geld für eine plastische Operation hast!«


Immerhin konnte ich einen Blick von der Seite auf die Bühne werfen und ein Foto machen. Wenig später standen hier an dieser Stelle die drei nackten Kannibalen und sorgten für saunaähnliche Zustände in der Kulturfabrik.


Zu Beginn des Konzertes wurden aber alle Personen, die nicht zur Crew gehörten, aus dem Backstagebereich verwiesen. So auch ich, ohne auch nur einen kurzen Blick auf die Band geworfen haben zu können. In der Halle war es inzwischen so voll, dass ich nur noch ganz am Rand einen Platz fand.

Von dort konnte ich zwar die Band nicht sehen, aber immerhin heimlich das Publikum fotografieren.


Ich wäre aber nicht euer Captain, wenn ich mich damit zufrieden gegeben hätte. Todesmutig wagte ich mich in die Menge, die in seiner feuchtwarmen, wabernden Konsistenz dem Innenleben einer Walfischgebärmutter glich und versuchte (neben dem Vorsatz, weiterhin zu atmen, aufrecht stehen zu bleiben und nicht augenblicklich zu kollabieren), einen Blick auf die vollkommen eingenebelte und schlecht ausgeleuchtete Bühne zu werfen.

Und damit nicht genug: in einer etwas ruhigeren Passage kramte ich meine Kamera heraus und schoss ein Foto. Mein allererstes Bühnenfoto. Ok, ich gebe zu, es ist nicht allzuviel zu erkennen, aber eines steht fest: dort oben stehen Nackt unter Kannibalen. Yes!

Leider kam ich nicht mehr dazu, weitere, womöglich bessere Bilder zu machen, weil ein Security mich beim Fotografieren entdeckt hat und sofort der Halle verwies. Während er mich nach draußen trug, konnte ich von nahem einen letzten Blick auf die Bühne werfen und traute meinen Augen nicht. Hier stimmte doch etwas nicht. Aber was? Ich habe zwar einen leisen Verdacht, aber bevor ich mit dieser unglaublichen Meldung an die Öffentlichkeit gehe, muss ich meiner Sache völlig sicher sein. Wenn ich tatsächlich Recht habe, wird ein Skandal von den Ausmaßen der Boris-Becker’schen Scheidung unausweichlich folgen. Jetzt habe ich Blut geleckt. Kannibalen-Blut! Ich bleibe dran...